Urbane Agenda für die EU
Artikel Stadtentwicklung
Die "Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ von 2007 stellt bis heute ein Referenzdokument für Prinzipien integrierter Stadtentwicklung in Europa dar. Seit 2016 trägt die Urbane Agenda für die EU dazu bei, die Prinzipien der Leipzig-Charta umzusetzen. Einerseits stärkt die Urbane Agenda die mitgliedstaatliche Kooperation in der Stadtentwicklung in Europa. Andererseits verbessert sie die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Mitgliedstaaten, Regionen und Städten. Übergeordnetes Ziel ist es, den Städten in Europa mehr Gehör zu verschaffen und sie in europäische Entscheidungsprozesse besser einzubinden.
Die Urbane Agenda für die EU wurde auf dem Informellen Ministertreffen in Amsterdam am 30. Mai 2016 beschlossen ("Pakt von Amsterdam").
Methodischer Kern der Urbanen Agenda sind sogenannte "Partnerschaften". Hier arbeiten Vertreter von EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Regionen, Städten und Verbänden auf gleicher Augenhöhe an konkreten Themen zusammen. Es handelt sich dabei um eine neue und bisher nicht erprobte Art der Multi-Level-Governance. Eine Stadt oder ein Mitgliedstaat übernehmen die Federführung in einer Partnerschaft. Jede Partnerschaft erarbeitet einen Aktionsplan mit konkreten Lösungsansätze in den folgenden drei Bereichen:
- Bessere Rechtsetzung (better regulation)
gemeint ist nicht die Schaffung neuer Regeln, sondern die bessere Berücksichtigung der städtischen Dimension in vorhandenen und neuen Richtlinien und Verordnungen auf europäischer Ebene. - Bessere Finanzierung (better funding)
beschreibt eine bessere Nutzung vorhandener Ressourcen und Finanzquellen sowie Erfahrungen zu neuen Instrumenten wie den Integrierten Territorialen Investitionen (ITI). Auch die Debatte um die künftige Strukturfondsförderung nach 2020 spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. - Besseres Wissen (better knowledge exchange)
beinhaltet eine bessere Wissensbasis zu nachhaltiger Stadtentwicklung und die weitere Intensivierung und Verbesserung des Erfahrungsaustausches zwischen europäischen Städten, unter Nutzung vorhandener Netzwerke wie des europäischen Programms URBACT und des European Urban Knowledge Network (EUKN)
Der Pakt von Amsterdam hatte zunächst folgende zwölf Themen festgelegt, die im Rahmen der Urbanen Agenda bearbeitet werden:
Arbeit und Bildung in der lokalen Wirtschaft, Digitaler Wandel, Innovative Beschaffung, Städtische Mobilität, Integration von Migranten und Flüchtlingen, Städtische Armut, Wohnen, Nachhaltige Flächennutzung, Kreislaufwirtschaft, Klimaanpassung, Energiewende sowie Luftreinhaltung.
Inzwischen liegen für alle zwölf Partnerschaften Aktionspläne vor.
Im Herbst 2018 wurden zu den Themen Kultur und kulturelles Erbe sowie Sicherheit im öffentlichen Raum zwei weitere Partnerschaften der Urbanen Agenda initiiert, die ebenfalls ihre Aktionspläne fertiggestellt haben.
Am 26. November 2021 wurde auf einem Informellen Ministertreffen unter slowenischer EU-Ratspräsidentschaft das Ljubljana Abkommen zur Fortsetzung der Urbanen Agenda für die EU verabschiedet. Ausgehend von den Erfahrungen der ersten fünf Jahre mit der Urbanen Agenda für die EU wurde damit der Grundstein gelegt für eine noch effektivere Zusammenarbeit in den kommenden Jahren.
Zu den bisherigen vierzehn Themen kommen ab 2022 die Themen Nachhaltiger Tourismus, Begrünung von Städten, Ernährung und die Sozial gerechte Stadt hinzu.
Partnerschaft “Kultur und kulturelles Erbe”
Das BMI und das BBSR haben gemeinsam mit Italien (Nationale Agentur für die territoriale Kohäsion und Ministerium für das kulturelle Erbe und kulturelle Angelegenheiten) bei der Urbanen Agenda für die EU in der Partnerschaft "Kultur und kulturelles Erbe" die Federführung inne.
Prozessgestaltung und Ergebnisse
Das Auftakttreffen fand im Februar 2019 in Berlin statt. Weitere regelmäßige Partnerschaftstreffen in diesem auf drei Jahre angelegten Prozess fördern den gegenseitigen Austausch. Insgesamt besteht die Kooperation aus 30 Partnerinnen und Partnern aus ganz Europa.
Das gemeinsam erarbeitete und im Herbst 2019 vorgestellte Orientierungspapier stellt die Zusammensetzung, die Funktionsweise und die verschiedenen Ziele der Partnerschaft für Kultur und kulturelles Erbe dar. Ebenso beschreibt das Papier folgende Schwerpunktthemen:
- (Kultur)Tourismus
- Kreativ- und Kulturwirtschaft
- Transformation, Nutzungsanpassung und Stadtumbau
- Resilienz des Kultur- und Naturerbes
- Kulturelle Daseinsvorsorge in der inklusiven Stadt
sowie die Querschnittsthemen
- Nachhaltige Finanzierungsmodelle und Förderung und
- Integrierte und interdisziplinäre Ansätze für Governance
Diese Themen werden in Arbeitsgruppen bearbeitet und fachlich durch Expertinnen und Experten unterstützt. Beim Themenbereich "Resilienz des Kultur- und Naturerbes" übernehmen das BMI und BBSR die inhaltliche Leitung. Ferner gibt ein deutsches Begleitgremium der Partnerschaft inhaltliche und strategischer Impulse.
Diese intensive Arbeit legt die Grundlagen für den Aktionsplan. Dieser benennt gemäß des Pakts von Amsterdam konkrete Maßnahmen für die Bereiche Better Regulation (Bessere Rechtsetzung), Better Funding (Bessere Finanzierung) und Better Knowledge (Besseres Wissen) und wird auf einer Stakeholder-Konferenz anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Ende 2020 präsentiert. Die Maßnahmen werden in einer letzten Phase bis Ende 2021 umgesetzt.
Anlass und Hintergrund
Die Partnerschaft "Kultur und kulturelles Erbe" in der Urbanen Agenda rückt das baukulturelle Erbe als Ressource und Entwicklungspotenzial der Stadtentwicklung konsequent in den Fokus.
Europäische Städte und Gemeinden bewegen sich in einer Balance von Erhalt und Weiterentwicklung. Urbanisierung auf der einen und Entvölkerung auf der anderen Seite, Migration, demographischer Wandel, Klimawandel - dies sind nur einige der Aspekte, die weitreichende Auswirkungen auf den Lebensraum Stadt haben. Zunehmende Mobilität sowie wachsender Tourismus stellen viele europäische Städte vor ganz besondere Aufgaben und Probleme.
Die Transformation der Städte hat Auswirkungen auf das baukulturelle Erbe. Stadtstrukturen, Gebäudeensembles und Einzelprojekte werden vielfach zur Disposition gestellt, um neuen Nutzungs- und Funktionsanforderungen gerecht zu werden. Europaweit ist ein Verlust an Qualität der gebauten Umwelt und der offenen Landschaften zu verzeichnen. Das Bewusstsein für das (bau)kulturelle Erbe muss lokal, aber auch auf europäischer Ebene gestärkt werden, um neue Wege zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Werte der gebauten Umwelt Europas zu entwickeln. Vielfach gelingt es bereits sehr wohl, den Beständen mit dem Verständnis entgegen zu treten, die gebaute Geschichte als Chance, Innovationsmotor und Investitionsimpuls zu verstehen.
Für die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe ist die inhaltliche Aufweitung des Verständnisses von "Europäischer Stadt" essentiell. Die Europäische Stadt wird durch eine über Jahrhunderte gewachsene Funktionsmischung (Multifunktionalität) charakterisiert. Gemeinhin gilt dabei das Verständnis von einer mittelalterlichen Struktur als Kennzeichen der Europäischen Stadt. Dieses Verständnis gilt es auf die weiteren Zeitschichten der Stadt auszuweiten. Die Überlagerung und Erkennbarkeit des Nebeneinanders aller baugeschichtlichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte sollen einbezogen werden.
Zum Ausschöpfen der sozialen, ökologischen und ökonomischen Ressourcen und Potenziale der gebauten Europäischen Stadt bedarf es eines systemischen, integrierten Ansatzes, der in aller Konsequenz das bauhistorische Erbe als Ausgangspunkt nutzt. Dies schließt die unter Denkmalschutz gestellten Gebäude und Ensembles ein, ebenso wie die besonders erhaltenswerte oder ortbildprägende Bausubstanz sowie Stadträume, Stadtstrukturen und auch immaterielles Kulturerbe.
Ausgangspunkt für die Initiative der Partnerschaft zum baukulturellen Erbe war das Europäische Kulturerbejahr 2018 und der in diesem Zusammenhang verabschiedete "Berlin Call: Cultural Heritage for the future of Europe" vom 22. Juni 2018.
Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24. Mai 2018 heben außerdem hervor, dass das kulturelle Erbe in allen Politikbereichen der EU stärker in den Vordergrund zu rücken ist (Vordok: 8544/18 CULT 52). Die Erklärung von Davos "Eine hohe Baukultur für Europa" vom 22. Januar 2018 hebt die zentrale Rolle der Kultur für die Qualität des Lebensraums hervor. Sie erinnert daran, dass Bauen Kultur ist und Raum für Kultur schafft. In einem ganzheitlichen Ansatz wird die gemeinsame Verantwortung von Politik und Gesellschaft für die gebaute Umwelt betont und eine europäische Politik der hohen Baukultur eingefordert. Mit der Partnerschaft zu Kultur und kulturellem Erbe in der Urbanen Agenda für die EU sollen diese Ziele in den öffentlichen Fokus gerückt werden; ferner sollen unter den Partnerinnen und Partnern auf Augenhöhe konkrete Lösungsansätze gefunden sowie Hinweise zur Weiterentwicklung bestehender und zur Schaffung neuer EU-Rechtsvorschriften, -Instrumente und -Initiativen formuliert werden.