Fast 800.000 Wohnungen sind schon genehmigt

Typ: Interview , Datum: 12.05.2022

Bis Herbst wird das Bündnis bezahlbarer Wohnraum ein Maßnahmenpaket mit konkreten Vorschlägen erarbeiten.

Kommunal

KOMMUNAL: Frau Geywitz, träumen Sie nachts schon von den 400.000 Wohnungen, die nach den Plänen der Ampel-Koalition jedes Jahr gebaut werden sollen?

Klara Geywitz: Ehrlich gesagt, bin ich abends so müde, dass ich nachts sehr tief schlafe. Aber die Frage ist ja, bringt mich das um den Schlaf, wie sehr treibt mich das um?  Als wir diese Regierung gebildet haben, waren die 400.000 bereits ein sehr ambitioniertes Ziel.  Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist dieses Ziel noch ambitionierter geworden, weil wir zusätzlich zu den Lieferkettenproblemen durch Corona auch noch Material-Engpässe aufgrund der Sanktionen gegen Russland haben. Die 400.000 Wohnungen sind jetzt sogar noch notwendiger.

Halten Sie es für möglich, das Ziel dennoch zu erreichen?

Die Preise am Bau explodieren. Ein Krieg in Europa bleibt nicht ohne Auswirkungen, auch auf die Energiepreise. Die Frage ist also: Das Ziel aufgeben oder die Anstrengungen verstärken? Wir wollen und wir müssen liefern. Bis Herbst wird das Bündnis bezahlbarer Wohnraum ein Maßnahmenpaket mit konkreten Vorschlägen erarbeiten, wie Wohnungen zügig gebaut werden können und die Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden können.  Wir müssen sehr schnell die Digitalisierung schaffen, Normen und Standards überprüfen und die Fragen klären: Wo kommen die zusätzlichen Fachkräfte her?  Und: Wie kann man die Innovationen in den Bautechniken unterstützen.

Wie viele Wohnungen können Sie realistisch schaffen?

Das Interesse am Bauen ist ungebrochen, das sieht man auch an den hohen Baufinanzierungsanfragen. Die Baugenehmigungen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, im vergangenen Jahr wurden fast 381.000 Baugenehmigungen erteilt. Wir setzen auch auf den Bauüberhang. Fast 800.000 Wohnungen sind schon genehmigt, aber nicht gebaut.  Bis wann die gebaut sind, lässt sich heute noch nicht seriös sagen.

Ein Problem ist, dass auch in den Verwaltungen das Personal fehlt. Gerade im Bau- und Planungsbereich sind viele Planstellen nicht besetzt. Wie kann der Bund da die Kommunen unterstützen?

Gemäß Grundgesetz tragen Bund und Länder gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Deshalb kann der Bund nicht direkt Personal in den Kommunen finanzieren. Auf jeden Fall werden wir die Ausbildungskapazitäten im Bereich der Planer erhöhen und wollen künftig Schulungen anbieten. Die Bearbeitungszeiten steigen auch deshalb, weil das Bau- und Genehmigungsrecht immer komplexer wird. Gleichzeitig versuchen wir, das Planungsrecht zu vereinfachen durch die Novelle des Baugesetzbuches und des Raumordnungsgesetzes. Die Digitalisierung wird die Verfahren weiter beschleunigen. Manchmal braucht es auch gar nicht viel Geld und ganz viel neues Personal. In Brandenburg gibt es zum Beispiel ein Landesförderprogramm, das die Kommunen beim Erstellen von Bebauungsplänen und von Flächennutzungsplänen unterstützt. Diese Förderung hilft gerade kleinen Kommunen.

Ein Viertel der neuen Wohnungen soll öffentlich gefördert werden. Wie will der Bund die Kommunen beim Bau von Sozialwohnungen unterstützen?

Ganz einfach: durch verlässliche und planbare Finanzmittel des Bundes. Das ist aus meiner Sicht dringend notwendig. Jahrzehntelang war es in der Republik gute Tradition, dass der soziale Wohnungsbau sehr stark gefördert wurde. Die ist dann abgebrochen. Das führte dazu, dass wir von ehemals zwei Millionen Sozialwohnungen nur noch eine Million haben. Menschen mit geringem Einkommen sind aber darauf angewiesen, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Der soziale Wohnungsbau war daher eines meiner wichtigsten Ziele bei den Haushaltsverhandlungen.   

Wie wollen Sie die Preisspirale im Wohnungsbau aufhalten?

Indem wir die Entwicklungen im seriellen und modularen Bauen unterstützen. Das muss nicht hässlich aussehen. Es ist eine Möglichkeit, kostendämpfend zu arbeiten, gerade mit wunderbaren Baumaterialien wie Holz. Und wir setzen auf Typengenehmigungen. Ein Haus, das einmal genehmigt wurde, muss nicht ein zweites oder drittes Mal neu genehmigt werden.

Sind Enteignungen für Sie ein Mittel, um erschwingliches Wohnen in Städten zu ermöglichen?

Wenn ich aus einer privaten Wohnung eine staatliche Wohnung mache, indem ich enteigne, ist ja die Summe der Wohnungen gleichgeblieben. Das hilft mir beim 400.000-Ziel kein bisschen. Wenn wir wollen, dass Menschen ihr Kapital in Immobilien investieren, brauchen wir Investitionssicherheit. Deswegen bin ich nicht glücklich über diese Enteignungsdebatte. Wenn wir Wohnungen fördern wollen, dann ist es aus meiner Sicht sinnvoller, das Geld, das man für eine Enteignung bräuchte, in die Förderung von Neubauten zu stecken.

Eine Zeitung hat getitelt: Die Bauministerin, die bauen verhindern will. Das klang so, als wollten Sie Einfamilienhäuser verbieten.

Das ist Quatsch. Es gibt Phasen im Leben, in denen sich viele Menschen ein Einfamilienhaus wünschen, gerade mit Kindern ist es eine tolle Wohnform und die will ich niemandem verbieten. Ich habe auch drei Kinder.

Aber?

Ziehen die Kinder aus, bleiben die Eltern mit großem Wohnraum zurück. Wir haben seit den 1950erJahren Tausende von Einfamilienhäusern gebaut haben, die heute nicht mehr den energetischen Standards entsprechen. Wenn wir die Klimabilanz des Gebäudesektors verbessern wollen, müssen diese Häuser saniert werden. Gerade in ländlichen Regionen, auf den Dörfern aber sieht man die Tendenz: Im Ortskern stehen die alten großen Bauernhäuser leer und drumherum gibt es einen Kranz von Einfamilienhaussiedlungen. Donut-Dörfer, wie sie auch genannt werden. Drumherum ist es schön, zuckrig, und die in der Mitte ist ein Loch. So sollte es nicht sein. Ziel muss sein, beides zu kombinieren - den riesigen Sanierungsbedarf der Altbausubstanz und den Wunsch von jungen Familien nach einem eigenen Haus. Der Staat muss Anreize setzen, damit junge Familien ein altes Haus erwerben, sanieren und auf ihre Bedürfnisse zuschneiden können. Viele Kommunen haben schon solche Förderprogramme wie "Jung kauft Alt".

Ist die energetische Gebäudesanierung unter den aktuellen Bedingungen zu schaffen?

Wir leben in einer Zeit der Krisen. Doch wir können es uns nicht leisten, zu sagen: Wir sind jetzt gerade beschäftigt, wir können uns um das Klima nicht kümmern. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass wir im sozialen Wohnungsbau geringere ökologische Standards haben.  Menschen, die es sich nicht leisten können, viel Miete zu zahlen, können es sich erst recht nicht leisten, hohe Nebenkosten zu finanzieren. Deshalb müssen wir im öffentlichen geförderten Bereich dringend sanieren.  

Für die Kommunen ist die Städtebauförderung ein sehr wichtiges Programm. Sie wird bislang jedes Jahr neu verhandelt. Wird sich das ändern, damit die Kommunen langfristiger planen können? Etwa durch ein Sondervermögen?

Die Kommunen bekommen kontinuierlich seit vielen Jahrzehnten Städtebaufördermittel und können sich auch darauf verlassen, dass diese zur Verfügung gestellt werden. Wichtig ist mir, dass wir eine Kontinuität haben in den von uns aufgelegten drei Programmen. Die Bundeshaushaltsordnung legt das Jährlichkeitsprinzip fest, das können wir nicht durchbrechen. Das Budgetrecht liegt beim Parlament und das beschließt jedes Jahr.

Umfragen besagen, immer mehr Menschen wollen lieber auf dem Land wohnen als in der Stadt.  Täuscht der Eindruck, dass die gesamte Baupolitik sehr stark großstadtfixiert ist?

Sie können davon ausgehen, dass eine Brandenburgerin immer den ländlichen Raum mitdenkt. Immer mehr gerade junge Menschen ziehen in die Städte, das ist ein weltweiter Trend. Wir beobachten, ob sich durch Corona und Homeoffice was ändert. Es ist extrem wichtig für die Attraktivität im ländlichen Raum, dass die kleinen Zentren gefördert werden. So erwägen wir beispielsweise die Gründung einer Kleinstadtakademie. Als Ministerin für Raumentwicklung ist mir das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse sehr wichtig. Daher schaue ich genau auf die Fläche..

Wäre es nicht eine Chance, den ländlichen Raum attraktiver zu machen? Wäre Geld für Infrastruktur wie Breitband und Schienenbau nicht dort besser angelegt als beim Versuch, in den Großstädten mehr zu bauen?

Wenn Sie sich die Situation rund um Berlin anschauen, gab es zunächst eine Belebung der Städte in der ersten Reihe, jetzt geht der Zuzug bis weit in die zweite Reihe. Die Verkehrsanbindung ist dabei ein zentraler Punkt. Sehr viele Menschen sind bereit, weiter weg zu wohnen, wenn sie mit einem Zug relativ schnell nach Berlin, München oder Hamburg kommen. Deswegen ist es wichtig, die Bahn wieder zu ertüchtigen, nicht nur wegen der Mobilitätswende. Es nützt nichts, wenn die Leute draußen bauen und dann stehen sie morgens im Stau, wenn sie in die Stadt reinfahren.

Wie stellen Sie sich die Wohnsituation der Deutschen in zehn Jahren vor? 

Geywitz: Ich hoffe, dass wir es dann geschafft haben, den Bestand an Sozialwohnungen wieder deutlich zu erhöhen und wir eine Debatte über gutes Wohnen angestoßen haben. Und ich hoffe, dass wir es schaffen, die bestehenden Gebäude so zu sanieren, dass sie für junge Familien attraktiv sind und sie gleichzeitig den Klimazielen gerecht werden.